Vielfalt in Einheit

Die Reformierte Gemeinde Dresden und das Belhar-Bekenntnis

Das Belhar-Bekenntnis wurde 1986 von der Generalsynode der Nederduitse Gereformeerde Sendingskerk (NGSK) – der reformierten Kirche der vom Apartheid-Regime als „coloured“ (farbig) bezeichneten Südafrikaner – als verbindliches Bekenntnis verabschiedet. Ablehnung und Überwindung der Apartheid wurden zur Bekenntnisfrage – acht Jahre vor der formellen staatlichen Überwindung der Apartheid 1994.

Ausgehend vom Bekenntnis von Belhar ist in der Reformierten Gemeinde Dresden ein Prozess begonnen worden, in dem die Gemeinde darüber reflektiert, ob und wie sie selbst zur Ausgrenzung Einzelner aus dem Gemeindeleben beiträgt. Achim Kreft vom Konsistorium hat sich bereit erklärt, von diesem Unternehmen zu berichten; Juliane Assmann hat ihn befragt.

Blumenwiese“ by ilona.kuckuck is licensed under CC BY 2.0 on flickr.com, Bild wurde nicht verändert

Herr Kreft, können Sie uns erzählen, wie das aussieht, wenn sich eine Gemeinde mit dem großen Thema strukturelle Gewalt befasst?

Wir befassen uns weniger mit dem Thema „strukturelle Gewalt“ im soziologisch-politologischen Sinne; vielmehr geht es um die Reflexion darüber, ob wir als Gemeinde – auch ohne uns dessen bisher bewusst zu sein und das zu wollen – Angehörige bestimmter gesellschaftliche Gruppen, die grundsätzlich an kirchlichem Leben interessiert sind, eher ausgrenzen und sie vom Mitmachen in der Gemeinde abhalten.

Von wem ging die Initiative dafür aus? Von wem wird dieser Prozess getragen?

Als ich mich im Rahmen der Überarbeitung der Ordnung des Bundes Reformierter Kirchen mit den zugrundeliegenden Bekenntnissen beschäftigt habe, habe ich mich gefragt, ob neben den altkirchlichen Bekenntnissen, dem Heidelberger Katechismus und der Barmer Theologischen Erklärung nicht auch das Bekenntnis von Belhar in die Bundesordnung aufgenommen werden sollte. Die Synode des Bundes hat daraufhin im September 2021 auf Vorschlag Pfarrer Brüders beschlossen, dass die Bundesgemeinden zunächst darüber nachdenken und diskutieren sollten, ob das Bekenntnis den Gemeindegliedern auch heute noch Denkanstöße, z.B. hinsichtlich der faktischen Ausgrenzung bestimmter Gruppen, geben kann. Wir haben das danach im Konsistorium noch einmal diskutiert und einhellig begrüßt. Der Prozess wird vom Konsistorium und der übrigen Gemeinde gemeinsam getragen.

Um welche Themen geht es da?

Es geht unter anderem um Fragen der Gestaltung der Gottesdienste und der anderen Gemeindeveranstaltungen, beispielsweise darum, wen der gewohnte reformierte Gottesdienst mit seinem Schwerpunkt auf einer theologisch anspruchsvollen Predigt anspricht und wen er ausschließt. Die Bibel dokumentiert die Ausgrenzung von behinderten Menschen, von Frauen, von Menschen, die in finanzieller Armut leben. Die Bibel dokumentiert aber auch, wie sich Menschen für die Überwindung dieser Ausgrenzung einsetzen. Das Bekenntnis von Belhar sagt, dass Gott „in besonderer Weise der Gott der Notleidenden, der Armen und der Entrechteten ist und seine Kirche aufruft, ihm auch hierin nachzufolgen“ (Art.4). Uns geht es darum, wie wir in diesem Sinne Kirche bzw. Gemeinde sein können..

Haben Sie ein Ziel? Was könnten Ergebnisse dieses Prozesses sein?

Ein Ergebnis könnte sein, dass wir in den Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen neue Kommunikationsformate ausprobieren, zum Beispiel Dialogpredigten mit Vertreter:innen einer der genannten Gruppen.

Können Sie uns ein oder zwei Dinge nennen, die Sie konkret in den letzten Monaten gelernt haben?

Belhar ist zwar vor mehr als 35 Jahren vor dem Hintergrund der Spaltung der Reformierten Kirche in Kirchen für Schwarze, Weiße und „Coloured“ in Südafrika geschrieben worden, enthält aber das allgemeine Bekenntnis zur Einheit in Vielfalt, was nach wie vor für Kirche und Gesellschaft aktuell ist. Wir versuchen uns für diese Vielfalt zu sensibilisieren: In einer Predigt zum Thema „Gottes Stimme hören“ wurden zum Beispiel nicht einfach nur theologische Impulse von Hörenden aufgenommen, sondern auch von einer gehörlosen Rabbinerin und einer gehörlosen Pfarrerin. Wir haben auch Lieder in Gebärden gelernt. Mit solchen Sachen nimmt man erst einmal viel bewusster war: Ich bin ein Hörender. Und das wirft die Frage auf: Was braucht es, damit sich hörgeschädigte und gehörlose Menschen z.B. in den Gottesdiensten willkommen fühlen? Vielleicht ist es das, was wir in den letzten Monaten gelernt haben: Fragen zu stellen mit Blick auf mehr Vielfalt – zum Beispiel: Wie lesen queere und autistische Menschen oder Menschen mit Rassismuserfahrungen biblische Texte? Wie erleben Frauen die Gleichberechtigung in unserer Gemeinde? Und: Wie können wir darüber hinaus in unserer zumeist bildungsbürgerlich geprägten Gemeinde eine Einheit in Vielfalt gewährleisten?

Angenommen, andere Gemeinden würden sich auch auf diesen Weg begeben wollen – was können Sie denen mit auf den Weg geben?

Wichtig ist, Gewohntes ergebnisoffen zu hinterfragen, ohne gleich alles neu machen zu wollen.

Und zum Abschluss: Welche ist Ihre Lieblingszeile aus dem Belhar-Bekenntnis?

„Wir glauben, dass die Vielfalt geistlicher Gaben, Möglichkeiten, Umstände und Überzeugungen wie auch die Vielfalt der Sprachen und Kulturen kraft der in Christus geschehenen Versöhnung

Gelegenheit zum gegenseitigen Dienst bieten und eine Bereicherung sind für das eine sichtbare Volk Gottes.“

Vielen Dank für Ihre Zeit und das Schriftgespräch!

Bekenntnis von Belhar (Auszüge):

[...]

Wir glauben,
dass das Versöhnungswerk Christi in der Kirche sichtbare Gestalt annimmt als Glaubensgemeinschaft derer, die mit Gott und untereinander versöhnt sind;
dass die Einheit der Kirche Jesu Christi darum Gabe und Aufgabe zugleich ist;
dass sie eine verbindende Kraft ist durch das Wirken des Geistes Gottes, gleichzeitig aber auch eine Wirklichkeit, die gesucht und ernsthaft verfolgt werden muss; eine Aufgabe, für die das Volk Gottes immer wieder bereit gemacht werden muss; [...]

Wir verwerfen darum jede Lehre,
die die natürliche Vielfalt oder die sündhafte Trennung in einer Weise verabsolutiert, dass dadurch die sichtbare und tätige Einheit der Kirche behindert wird oder zerbricht oder sogar zur Gründung einer separaten Kirche führt;

[...]

Wir verwerfen darum jede Lehre,
die im Namen des Evangeliums oder des Willens Gottes die erzwungene Trennung von Menschen nach Rasse oder Hautfarbe gutheißt und dadurch von vornherein den Zuspruch und die Erfahrung der Versöhnung in Christus abschwächt und verhindert.

[…]