Friedensgebete

Hier finden Sie ausgewählte Ansprachen aus den Ökumenischen Friedensgebeten, montags 17 Uhr in der Kreuzkirche Dresden.

Ansprache am 4. April 2022, anläßlich des Gedenkens an Jorge João Gomondai:

Jorge João Gomondai kam 1981 nach Dresden, gerade 18einhalb Jahre alt. Grundlage seines Aufenthaltes war ein Abkommen, dass die DDR-Regierung 1979 mit Mozambique geschlossen hatte, über die zeitweilige Beschäftigung junger ArbeitnehmerInnen in der DDR. Bedingung zur Teilnahme daran war eine vierjährige Schulbildung und Volljährigkeit. Kaum 18 geworden, hatte sich Jorge Gomondai beworben und ein halbes Jahr später kam er in Dresden an. Sein Arbeitsplatz: das Fleischkombinat Dresden, also der Schlachthof. Eigentlich sollte der vier- fünfjährige Aufenthalt eine Ausbildung vorsehen, tatsächlich wurden die jungen Männer vor allem für ihre Arbeit im Schlachthof „ausgebildet“.

Trotz der offiziellen Erzählung von Solidarität und Freundschaft hatten die Dresdner:innen und die Vertragsarbeiter:innen wenig Kontakt. Integration und ein dauerhafter Aufenthalt in der DDR waren staatlicherseits nicht erwünscht. Eheschliessungen mit Deutschen waren verboten, Liebesbeziehungen nicht gerne gesehen. Vertragsarbeiterinnen, die schwanger wurden, mussten das Land verlassen. Unter der DDR-Bevölkerung kursieren Vorurteile und Gerüchte über angebliche Devisengeschäfte der Migrant:innen. Immer öfter werden sie in Kneipen, Diskotheken, aber auch in Zügen und Bussen rassistisch angefeindet und angegriffen.

Und bereits 1987 wird von organisierten neonazistischen Übergriffen und Angriffen auf „andere“ berichtet, auf Punks, auf Schwarze, auf „die anderen“.

Als mit dem Ende der DDR auch das Ende der Staatsdoktrinen des Antifaschismus kam, konnten sich in dieser Inhaltsleere unter anderem eben auch die Neonazis aus Ost und West „vereinen“ und ihre menschenfeindlichen Ideologien, teils ungehindert, ausbreiten und ausleben.

Mit dem Ende der DDR liefen auch die Arbeitsverträge und die Aufenthaltsgenehmigungen schlagartig aus, die Vertragsarbeiter:innen mussten überwiegend das Land verlassen. Jorge Gomondai fand eine befristete Anstellung in Rotterdam, kurz vor Ostern 1991 kehrte er von einer Reise dorthin zurück nach Dresden.

An einem Samstag Ende März war er in der Neustadt mit Freunden aus gewesen und in den frühen Morgenstunden in der Straßenbahn auf dem Weg wieder zurück ins Wohnhein in der Johannstadt. Zu seinem Unglück befand sich in derselben Bahn eine Gruppe Neonazis, die bereits vorher randalierend durch die Neustadt gezogen und angetrunken waren. Sie gingen sofort auf Gomondai los und verprügelten und bedrohten ihn. Im Verlauf stürzte er aus der fahrenden Straßenbahn. Ob er gestoßen wurde oder in Todesangst sprang, wurde wegen mangelhafter Ermittlungen nie abschießend geklärt. Mit schweren Kopfverletzungen wurde Jorge Gomondai ins Diakonissenkrankenhaus gebracht. Dort starb er 6 Tage später, am 6. April 1991, mit 28 Jahren. In diesem Jahr, im Dezember, würde er 60.

Dieser rassistische Angriff, ebenso wie der Mord an Marwa El Sherbini 2009, wegen ihres Kopftuches, sind zwei von insgesamt über 215 Todesopfern rechtsextremer Gewalt in Deutschland seit 1990. Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland gibt es seit deren Gründung, aber bis 1990 wurden sie staatlich nicht gesondert erfasst, erst seitdem gibt es den Tatbestand der Hasskriminalität. Und die körperlichen und verbalen Angriffe sind jedes Jahr um ein Vielfaches höher, in ganz Deutschland und in Sachsen auch.

Es erscheint klar und ich spreche eine Selbstverständlichkeit aus, dass wir alle, die wir hier sitzen, solche Verbrechen und Morde zutiefst verabscheuen. Rassismus, der so tödlich daher kommt, wird von uns abgelehnt, und zu Recht strafrechtlich verfolgt.

Auch aktive Beschimpfungen sind nicht Teil unseres Verhaltens, wir wissen, dass es nicht christlich und nicht menschlich ist, ja, dass es Unrecht ist, andere anzugreifen.

Was uns, was mir, aber weniger bewusst ist, ist das, was man Rassismus in den Strukturen nennt. Der ist auch gar nicht so einfach zu erkennen, wenn man, also ich, nicht selbst davon betroffen ist.

Ich zum Beispiel komme wohl nicht in die Situation, eine Wohnung oder eine Arbeit nicht zu erhalten wegen meines Namens oder meiner Aussehens, oder anders gesagt: wenn ich eine Wohnung oder eine Arbeit in meinem Leben nicht erhalten habe, habe ich das nie auf meine Hautfarbe beziehen müssen. Diese Erfahrung von Ausgrenzung habe ich nie gemacht – und ich kann sie nicht machen in einem Land, in dem meine Aussehen, meine Hautfarbe normal ist.

Und eben das, dieses „normal“, diese „Norm“, die damit verbunden ist, das begünstigt Strukturen, die ausgrenzen, das bildet die Grundlage für strukturellen Rassismus.

Das ist nicht automatisch schuldhaft, das ist nicht automatisch mein Vergehen – das Wort „Rassismus“ differenziert mir oft zu wenig, weil es für mich immer wie „schuldig“ klingt.

Ich kann ja nichts dafür, dass ich weiß bin, niemand kann etwas für seine und ihre Hautfarbe. Aber meine Verantwortung beginnt wohl im Wahrnehmen der Strukturen, dieser gesetzten Normen, aus denen eben die unterschiedlichen Erfahrungen entstehen, dass Hautfarbe Privilegien verschafft – oder sie eben verweigert.

„Weiß“ ist hierzulande die „Norm“, ist das „Normale“ und prägt damit alle unsere Blicke auf unsere Welt und Gesellschaft. Alle meine Professoren im Studium waren weiß, alle meine Lehrer und Lehrerinnen auch, die meistens in den Kirchenleitungen heute, in den Redaktionen, in der Politik sind es ebenfalls. Bis in die Sprache ist das so: der hautfarbene Buntstift, schon im Kindergarten, ist das Schweinchenrosa, die hautfarbenen Strumpfhosen zum Minirock sind die sandfarbenen, die hautfarbene Tönung beim Make up ist Beige.

Das wird uns von Kind auf so beigebracht, gar nicht mal mit Absicht, es ist oft „einfach so“ – zumindest bisher so gewesen – aber damit prägt es eben auch unsere Welt und Wahrnehmung. „Normal“, „die Norm“, sind wir, die anderen sind eben die anderen. Das legt eine Grundlage für Ausgrenzungen, auch, wenn wir das gar nicht wollen, auch, wenn wir – natürlich! – Gewalt ablehnen.

Ich habe keine Antworten darauf, ich merke nur, jetzt, im letzten Drittel meines Lebens, dass ich da noch viel lernen muss, und verstehen muss – von meinen Privilegien als weiße ältere Frau zB –

Und meine Irritationen darüber, auf einmal in meinem gewohnten Denken in Frage gestellt zu werden, sind nichts im Vergleich zu den Verletzungserfahrungen derer, die diese Privilegien qua Geburt nicht zuerkannt bekommen.

Es ist gut, wenn wir da voneinander lernen und gemeinsam auf dem Weg miteinander sind.
(Elisabeth Naendorf)