Gedanken zur nachhaltigen Digitalisierung
Digitalisierung ist – noch mehr seit dem Beginn der Pandemie – in aller Munde. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Umwandlung von analogen in digitale Datenformate. Heute meint Digitalisierung zumeist einen Megatrend für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Wie kann diese digitalisierte Welt nachhaltig gestaltet werden?
Die Frage sollte heißen: Wie kann diese digitalisierte Welt nachhaltiger gestaltet werden? Denn zu dieser Frage gibt es bisher keine Lösungen, sondern nur Lösungsansätze. Doch erstmal zum Problem am Anfang. Oder eher zum Ende, wo Milliarden technischer Geräte auf illegalem Weg in Agblogbloshie, Ghana, auf dergrößten Elektroschrottmüllhalde der Weltlanden. Weltweit fallen pro Jahr 53,6 Mio. Tonnen Elektroschrott an, in Deutschland 1,6 Mio. Tonnen. Das macht 19,4 Kilogramm pro Einwohner. Das sind enorme Mengen, für die es keine gute Lösung gibt. Denn der Schrott wird nicht in Europa recycelt, sondern von Menschen in Agblogbloshie auseinandergenommen, um die gewonnenen Metalle wieder zu verkaufen. Die Müllhalde wird nach wertvollen Rohstoffen durchsucht– auch von Kindern und Jugendlichen; Kabel und Platinen werden verbrannt, um Metalle zu gewinnen. Es entstehen gefährliche Gifte– für Mensch und Umwelt. Wir können auf das Ende schauen, oder auch auf den Anfang: den Abbau von Rohstoffen wie Gold, Koltan, Kupfer für die digitale Infrastruktur: gefährlich, schlecht entlohnt, giftig. Oder auf den Energieverbrauch der Endgeräte und Server: So verbraucht das Internet so viel Energie, dass es – wäre es ein Land - beim Verbrauch auf Platz 6 oder 3 hinter den USA und China (jenach Berechnung) landen würde.
Umweltverschmutzungen, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Klimawandel sind reale Folgen und Bedingungen der scheinbar immateriellen und sauberen Digitalisierung. Ein Abwägen dieser negativen Folgen gegenüber dem Nutzen, ein Hinterfragen und kritische Auseinandersetzung bleiben marginal. Das Reden über Digitalisierung ist verbunden mit der Hoffnung auf Fortschritt und Innovation. Die Aussage: „Alles, was wir brauchen, können wir gut mit den aktuellen technischen Mitteln. Wir müssen nicht noch weiter digitalisieren.“ ist selten zu hören. Dabei sind die technischen Möglichkeiten heute so, wie es vor 10 Jahren noch kaum vorstellbar war. Aber dennoch: Der Laptop ist zu dick, wenn es mittlerweile dünnere gibt; der Speicherplatz schon wieder voll und der Bildschirm zu klein und ein Bildschirm reicht auch nicht mehr.
Suffizienz, also das Bemühen um Selbstbegrenzung und um geringen Stoff- und Energieverbrauch, kommt in Bezug auf Digitalisierung kaum vor. Eine Welt ohne den jetzigen Stand der Digitalisierung ist kaum noch vorstellbar. Auch ich haben diesen Artikel auf einem Laptop geschrieben, eine Reihe von Webseiten konsultiert und eine Suchmaschine mit ausgeklügelten Algorithmen genutzt. Die Veranstaltungen des ÖIZ im Juni zum Thema „nachhaltige Digitalisierung“ fanden digital statt. Und dass Artikel wie dieser früher mit einer Schreibmaschine getippt wurden, ist kaum denkbar.
Doch welchen Weg soll es dann geben? Ein „Zurück“ ist nicht wünschenswert. Im „Weiter so“ bleiben die Folgen für Mensch und Umwelt ausgeblendet, obwohl „das künftige Schicksal der planetarischen Umwelt“ davon abhängen wird, ob die digitale Revolution auf einen nachhaltigen Pfad gebracht wird – so jedenfalls beschreibt es der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen. In dessen Gutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ wird auch analysiert, wie Digitalisierung zukünftig zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele beitragen kann. Denn das ist die andere Seite, das Potenzial: Videokonferenzen sparen Ressourcen im Vergleich zur Dienstreise etc. Bisher jedoch findet kaum ein Zusammendenken von Digitalität und Nachhaltigkeit statt. Hier wartet eine globale Aufgabe auf uns alle: Digitalisierung kann und muss gestaltet werden – nicht nur von Digitalkonzernen, sondern von der Gesellschaft. Individuell kann jede*r schon jetzt seine Ansprüche prüfen, Geräte länger nutzen, auf Secondhandprodukte zurückgreifen. Die Verlockungen durch immer neue Produkte und die Zwänge, wenn es für das Gerät leider keine Updates mehr gibt, bleiben jedoch bestehen. Im Kapitalismus geht es darum, immer neue Ware und mehr davon zu verkaufen. In dieser Logik wird eine nachhaltige Digitalisierung wohl kaum möglich sein. Jedoch können politische Regulierungen hier ansetzen: Durch ein Recht auf Reparatur, Vorschriften zur Kreislaufwirtschaft oder das Lieferkettengesetz können Unternehmen und wir alle dazu gebracht werden, nachhaltiger zu agieren.
Zum Weiterlesen:
www.youtube.com/watch?v=DD8xEPUqrEg (Gesprächsabend zu Datensicherheit und Konzernmacht aus unserer Reihe“Digital-undnachhaltig?“ vom 20.06.2021 im Café Dreikönig)