Handelsabkommen und Klimakrise
Die Themen von sozialen Bewegungen verändern sich. Während sich in den Neunziger und Nullerjahren die globalisierungskritischen Bewegungen intensiv mit der Welthandelsorganisation (WTO), Freihandelsabkommen und deren Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte beschäftigten, stehen heute vor allem politische Forderungen zur Verminderungen der Treibhausgase im Mittelpunkt. Es geht um persönliche Lebensführung und um nationale Strategien für Gebäudedämmung, Ausbau erneuerbarer Energien oder die Verkehrswende.
Diese sind ohne Frage wichtig. Doch auch Handelspolitik ist zwar aus dem Blick, aber dennoch zentral für die Adressierung der Klimakrise: „Der Freihandel steht am Ursprung aller ökologischen Probleme“ – so eine Aussage des ehemaligen Umweltministers Frankreichs, Nicolas Hulot.1
Denn Freihandelsabkommen dienen dem Abbau von Handelshemmnissen, und das sind nicht nur Zölle. Jedes Gesetz zum Schutz von Klima, Umwelt, Gesundheit, Arbeitnehmer*innen etc. kann den Handel behindern.
Laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages von 2019 stehen klimaschützende Verträge wie das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 und Freihandelsabkommen wie GATT, JEFTA, CETA etc. im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander. Es gibt Ausnahmen in den Freihandelsabkommen, die zur Rechtfertigung von Klimaschutzmaßnahmen herangezogen werden können. Allerdings muss dabei beurteilt werden, ob diese notwendig sind oder „nur einen Beitrag dazu leisten“.2
Gleichberechtigt? Das heißt, die WTO und Freihandelsabkommen sind nicht im Rahmen der UNO entstanden und nicht an deren multilaterale Arbeits-, Menschenrechts- und Umweltabkommen gebunden. Während das Klimaschutzabkommen nur geringe Sanktionen beinhaltet, gibt es im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO und bei Freihandelsabkommen Klagemöglichkeiten: So können Unternehmen Staaten über Schiedsgerichte anklagen, wenn sie nicht ‚fair und gerecht’ behandelt oder ‚indirekt enteignet’ worden sind. Ihr oberstes Prinzip ist die Handelsausweitung. Und das Ziel, den globalen Handel zu erweitern, widerspricht allen Klimaschutzbemühungen:
In Beispielen:
- Mindestens zwei Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto der internationalen Seeschifffahrt. Dazu kommt noch einmal so viel durch handelsbezogenen Frachttransport auf Straßen. Der Trend lässt eine Verdreifachung vermuten.3
- Unternehmen und Staaten kämpfen international um Marktanteile, wie der „Frittenkrieg“ in Kolumbien zeigt. So hatte Kolumbien 2018 Strafzölle auf Pommes aus Europa erlassen mit der Begründung, dass diese in Kolumbien zu Dumpingpreisen verkauft werden. Die EU wiederum hat für ihre deutschen, belgischen, französischen Unternehmen vor dem WTO-Schiedsgericht geklagt und gewonnen. Verloren hat in jedem Fall das Klima: EU-Unternehmen exportieren 50 Millionen Tonnen in Palmöl (woher kommt das wohl?) frittierte Kartoffelschnitze tiefgekühlt nach Kolumbien, ein Land, indem 100.000 Familien unmittelbar von Kartoffelanbau leben.4
- Die deutschen Energiekonzerne RWE und Uniper verklagten 2021 die Niederlande vor einem internationalen Schiedsgericht der Weltbank. Der Grund: die Niederlande hatten beschlossen, die Laufzeit von Kohlekraftwerken ohne Entschädigung zu verkürzen, um das Abkommen von Paris einzuhalten. Die Unternehmen wollen Entschädigung für entgangene Gewinne und berufen sich dabei – wie bereits Vattenfall bei seiner Klage gegen Deutschland aufgrund des Atomausstiegs – auf den Energiecharta-Vertrag. Das ist ein Abkommen aus den 90er Jahren, mit dem Investitionen westlicher Konzerne in den Energiesektor im ehemaligen Ostblock abgesichert werden sollten. Jetzt richtet sich diese Absicherung gegen westliche Staaten, die Klimaschutzmaßnahmen einführen. Uniper ist übrigens das Unternehmen, das durch staatliche Stabilisierungsmaßnahmen von der Bundesregierung gerettet werden muss, und soll in diesem Zusammenhang die Klage fallen lassen.5
Es gibt weitere Beispiele wie das Mercosur-Abkommen, das die EU mit südamerikanischen Staaten abschließen will. Laut einer Studie von Misereor und Greenpeace würde es u.a. die Abholzung des Regenwaldes vorantreiben wird, denn Rinderzucht und Sojaanbau werden befördert. Außerdem profitiert die europäische Autoindustrie unverhältnismäßig stark.6 Oder das CETA-Abkommen der EU mit Kanada, mit dem Kanada doch Öl aus Teersanden nach Europa importieren kann. Diese sind weit klimaschädlicher als normales Erdöl und sollten in der EU bereits vom Markt genommen werden. In CETA kommt das Pariser Abkommen übrigens nicht vor.7
Handelsabkommen sind kompliziert, oft tausende Seiten lang und ein Feld für darauf spezialisierte Jurist*innen. Sie genügen weder in der Entstehung noch in der Umsetzung demokratischen Ansprüchen. Das heißt leider auch, dass die Einflussmöglichkeiten gering sind. Dennoch sollten wir uns als Bürger*innen informieren, Kampagnen verfolgen und aktiv werden. Das deutsche Lieferkettengesetz, die geplante EU-Richtlinie zu unternehmerischer Sorgfaltspflicht und ein von vielen Staaten (allerdings nicht Deutschland) angestrebter verbindlicher Vertrag der UNO zu Menschenrechten und Wirtschaft (Binding Treaty) sowie die Verhinderung der Freihandelsabkommen CETA und Mercosur wären wichtige Schritte auf dem Weg.
Silke Pohl, ÖIZ
1 attac (2020): Klimapolitik: Eine andere Welt ist nötig! Wie neoliberale Globalisierung und EU-Handelspolitik die Klimakrise ignorieren und damit verschärfen, https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/binding-treaty/Documents/Factsheet_Freihandel_und_Klima_Stopper.pdf (17.4.2023)
2 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Kurzinformation – Das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Freihandel, WD 2 – 3000 – 057/19 (16. Mai 2019) https://www.bundestag.de/resource/blob/650664/adf293a6dad182aea8ca5ff0c298c931/WD-2-057-19-pdf-data.pdf
3 Umweltbundesamt, zitiert in attac (2020)
4 https://www.ila-web.de/ausgaben/446/der-frittenkrieg
https://taz.de/Sieg-fuer-EU-Exporteure/!5900975/
https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/kommission-kaempft-fuer-kartoffelbauern-11893269.html
5 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/klimaschutz-kohleausstieg-in-den-niederlanden-kein-entschaedigungsanspruch-fuer-rwe-und-uniper/28840158.html
https://taz.de/Uniper-verklagt-Niederlande/!5766796/
https://www.welt.de/wirtschaft/article239862805/Heikle-Klima-Klage-Habeck-vor-dem-Uniper-Dilemma.html
6 https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/waelder/waelder-erde/eu-mercosur-abkommen
7 https://umweltinstitut.org/welt-und-handel/ceta-raubbau-ohne-grenzen/
Bild: pixabay: Georg_Wietschorke: Die CMA CGM Sorbonne ist eines der grössten Containerschiffe der Welt, 400 m lang, 62 m breit, Platz für über 20.000 Container